Serdar Yazar arbeitet bei BQN Berlin und frei als Diversity Trainer und ist stellvertretender Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft für Diversity Management (idm). Im Interview mit Kryptoszene spricht er über Diversität in Unternehmen, warum sie sich auch finanziell lohnt und wie sie durchzusetzen und zu erkennen ist.
Hallo Herr Yazar, wie definieren Sie Diversität?
Diversität ist einerseits die Summe aller Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die Menschen haben; in Bezug auf ihre Biographien, auf ihre Prägungen, Talente, Fähigkeiten und Zugehörigkeiten, in die sie hineingeboren werden, oder die sie selbst im Laufe ihres Lebens verändern.
Andererseits ist es der Umgang damit, der auf verschiedenen Ebenen erfolgen muss: selbstreflektiv und in der Kommunikation, also zum Beispiel in der Sprache. Eine gendergerechte Sprache ist sehr wertvoll um verschiedene Geschlechteridentitäten mitzumeinen. Aber auch in der Frage, wie ich Menschen behandele – gerade solche die auf der Arbeitsebene anders arbeiten.
In welchen Dimensionen mangelt es in Deutschland noch besonders an Diversität?
Ich würde behaupten in allen Bereichen sind wir gesellschaftlich in der klassischen Frauenförderung ganz gut aufgestellt. Frauen in Führungspositionen oder Sexismus am Arbeitsplatz ist ein etabliertes Thema. Da hat man mehr Erfahrungen und auch mehr Wissen, mehr Instrumente. Aber da wird noch sehr stark binär mit Frau und Mann gedacht.
Es gibt Studien darüber, welche Diversitätsdimensionen stärker bearbeitet werden. Gender ist da oft gefolgt von Internationalität, besonders bei großen Unternehmen. Gerade bei diesen Unternehmen ist der Zugang von Leuten, die im Ausland leben, vielleicht auch in Zweigstellen arbeiten, relativ leichter. Aber was Internationalität meiner Meinung nach nicht erfasst, ist die Einwanderungsgesellschaft in Deutschland. Das kann man sehr leicht daran sehen, wo diese Menschen sozialisiert sind, welche Sprachen sie sprechen und ob sie strukturell von Rassismus betroffen sind.
Behinderung ist ein Thema, was meistens mit Schwerbehinderung gleichgesetzt wird – da haben wir also einen engeren Fokus. Ansonsten ist auch durch die demographische Lage das Thema Alter und Generation in Deutschland wichtig. Das ist gerade in Großunternehmen und im öffentlichen Sektor ein Feld, das auch in Strategien gesetzt wird. Zudem gibt es immer mehr Personalnetzwerke im Kontext LSBTI, die eine Empowerment und eine sensibilisierende Wirkung für das Gesamtunternehmen haben.
„Diversity beeinflusst Kaufentscheidungen“
Warum ist Diversity für Unternehmen wichtig?
Einmal ist es klar das Moralische. Und natürlich gibt es Rechtsgrundlagen dafür. Die meisten Schnittmengen hat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, weil es verschiedene Diskriminierungsformen und -ebenen fokussiert und auch Räume dazu schaffen kann, was die Pflichten einer Organisation sind. Zwar wird das nicht konkret überprüft, aber es ist ein guter Treiber.
Außerdem ist Diversity ist ein Instrument, Organisationen dynamisch zu halten. Menschen mit diversen Zugängen bringen diverse Perspektiven mit. Selbst in einem gleichen Projekt kommen sie so zu verschiedenen Lösungswegen. Bei diesen Projekten wird nicht nach einem Jahr gesagt, da sei etwas nicht bedacht oder berücksichtigt worden. Also schafft Perspektivenvielfalt eine Nachhaltigkeit.
Zusätzlich beeinflusst sie Kaufentscheidungen: Wenn bei gleicher Qualität und Preis-Leistungs-Verhältnis noch etwa durch positiv konnotierte Bilder Diversität ausgestrahlt wird, wird dieses Produkt stärker gewählt. Gerade im Kontext LSBTI gibt es auch Belege dazu.
Also lohnt sich Diversity auch finanziell?
Auf jeden Fall. Die Nachhaltigkeit und Kaufentscheidungen bedeuten auch ein finanzielles Plus. Und negativ formuliert kostet eine schlechte Arbeitsatmosphäre Geld: Wenn ich das Gefühl habe, ich muss mich verstecken, gebe eine Behinderung zum Beispiel nicht preis oder spreche nicht über mein Privatleben, hemmt das auch meine Leistungen und die Identifikation mit dem Unternehmen. Das führt im schlimmsten Fall zu Fluktuationen und Krankheitsausfällen. Diskriminierung hat sehr starke psychosomatische Auswirkungen. Auch das sind Kosten, die Unternehmen nicht haben wollen. Hinzu kommt der Imageverlust, wenn so etwas nach außen getragen wird.
„Wirtschaftsunternehmen können viel flexibler damit umgehen als die Öffentlichen“
Wie konkret kann Diversität geschaffen werden?
Das fängt natürlich mit der Einstellung an. Da stellt sich die Frage, wie die Formate der Einstellung sind. Einstellungsverfahren können viele Talente ins Abseits rücken. Etwa, wenn Allgemeinwissen abgefragt wird, das Menschen, die anderswo sozialisiert wurden, vielleicht nicht haben. Oder wenn ein bestimmter Habitus im Vorstellungsgespräch erwartet wird.
Gerade Menschen, die der Meinung sind, sie seien im Unternehmen der oder die Exot:in sind mit viel mehr Aufregung in einem Einstellungsverfahren, als solche, die direkt das Gefühl haben, dort reinzupassen und vielleicht sogar schon Leute im Unternehmen kennen. Dafür muss man die Strukturen sensibel machen. Teils fehlt es da an Flexibilität. Wirtschaftsunternehmen können damit aber viel flexibler umgehen als die Öffentlichen, die sich stärker an bestimmte Rechtsgrundlagen halten müssen bzw. diese nicht selten restriktiv und zum Nachteil von Diversität auslegen. Man kann etwa viel mehr mit Praxiseinsätzen arbeiten und in dem Kontext diverse Wege gehen, um auch Bewerbungsprozeduren niedrigschwelliger, unbürokratischer und schneller zu gestalten.
Reicht eine Veränderung des Einstellungsverfahrens?
Nein, es ist auch es total wichtig, dass Diversität als Fähigkeit wahrgenommen wird. Diversity-kompetent zu sein ist nicht so ein „nice to have“, sondern muss in jede Stellenbeschreibung. Ein guter Schachzug ist es auch, wenn bei der Einstellung neben dem Arbeitsvertrag ein Dokument zu einem diskriminierungsfreien Miteinander und dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz unterschrieben werden muss.
Diversity-Beauftragte oder entsprechende Task Forces müssen je nach Unternehmensstruktur aufgebaut werden. Dabei scheitert es meistens leider daran, welche Befugnisse diese haben. Es gibt sehr viele Konstrukte, wo jemand das Label Diversity-Manager:in bekommt und die Person das Unternehmen in Diversity-Netzwerken vertreten oder unkritische Events veranstalten darf. Das ist natürlich total ineffektiv und wird der Sache nicht gerecht. Als Diversity-beauftragte Person muss ich die Gesamtstrategie bestimmen, die Einstellungen begleiten und schauen, wie die Beschwerde-Strukturen aussehen.
Und wie sieht es mit Diversity im internationalen Vergleich aus?
In den deutschsprachigen Ländern sieht es eher ähnlich aus. Großbritannien ist aber in vielen Dingen sehr weit vorne, was die rechtliche Rückendeckung betrifft. Auch die dortige Antidiskriminierungsstelle hat viel mehr Gewicht und macht viel mehr Beratung, sich in die Politik einschaltet auch in Bezug auf Wirtschaftsunternehmen Impulse setzen kennen. Aus Belgien lese und höre ich auch immer sehr gute Dinge. Und trotz widersprüchlichen Entwicklungen gibt es auch in den USA eine sehr starke Diversity-Arbeit.
„Hört man viel über Diskriminierungsfälle, dann ist die Organisation raus“
Wie können Anleger:innen auf Diversität in einem Unternehmen achten?
Man kann sich Unternehmensstrategien etwa zu diesen Aspekten anschauen: Spielt Diversity in der Unternehmensstrategie eine Rolle? Ist das Diversity-Management in allen Einzelstrategien ein Thema? Und gibt es eine gesonderte Diversity-Strategie, aus der ich als Außenstehender auch Ziele sehen kann? Es gibt viele Aspekte, die messbar sein sollten. Wenn ich sehe, dass bei Diversity lieber auf nicht Messbares gegangen wird, macht mich das stutzig.
Ich würde mir das Team, Publikationen und Werbungen, sofern es diese vom Unternehmen gibt, anschauen und in welchen Netzwerken das Unternehmen ist. Als K.-O.-Kriterium würde ich festlegen, ob man über viele Diskriminierungsfälle hört – dann ist die Organisation raus, egal wie spannend ich sie finde.
Man müsste sich also die Unternehmen einzeln anschauen? Oder gibt es allgemeine Indikatoren?
Nein, leider nicht. Unternehmen schreiben immer gerne, was sie gut können. Oft geben sie nur das preis, was sie preisgeben wollen. Eine Aufstellung nach bestimmten Kriterien gibt es genauso wenig wie ganzheitliche Diversity-Audits. Es wäre wohl an der Zeit und es gibt auch in unserem Verband Gedanken dazu. Es wäre natürlich super, wenn Außenstehende so einfach sehen können, wie es mit Diversity aussieht.