Kevin Linser entwickelte mit seinem Team den digitalen Anlageberater Selma. Im Interview mit Kryptoszene.de spricht er über dessen Funktionen und Vorteile in der Krise und über die Zukunft von individuellen Anlageberatungen.
Hallo Herr Linser, was ist Selma?
Selma ist unsere digitale Anlage-Assistentin, die als Privater Banker für jeden dient. Das funktioniert grundsätzlich alles automatisiert: Um zu starten, chatten Kund:innen mit Selma über ihre Finanzsituation. Selma sieht sich dabei an, in was für einer Lebenssituation der Kunde oder die Kundin ist, wie das bestehende Vermögen strukturiert ist und wie jemand mit Risiken umgeht.
Selma berechnet darauf basierend, wie viel jemand maximal investieren sollte, wie viel Risiko genommen werden kann und wie der Anlageplan aussehen sollten.Der Fokus liegt dabei vor allem auf langfristigem Anlegen. Im Idealfall investieren wir für mehr als 10 Jahre. Sobald jemand mit Selma startet, kümmert sie sich dann automatisch um die Anlagen, kauft und verkauft Investments und stellt sicher, dass sie immer optimal zur eigenen Finanzsituation passen.
Wer sind die Kund:innen?
Wir sprechen vor allem eine Zielgruppe an, die sich bisher mit Anlagen noch nicht so sehr auseinandergesetzt hat, also meistens Erstanleger sind. Mit Selma versuchen wir, einen relativ einfachen Zugang zum Thema Geldanlagen zu bieten. Das Bewusstsein für das Sparen nimmt gerade bei der jungen Generation immer mehr zu, doch viele wissen nicht, wo und wie sie mit dem Investieren starten sollten. Wir sehen eine junge Gruppe, die gerade mit dem Studium fertig ist, erste Erfahrungen im Berufsleben sammelt und sich schon früh überlegt, mit dem Anlegen zu starten.
Also ist Selma vor allem als Einstieg in das Investmentleben geeignet
Wir sehen Selma schon als das zentrale Element. Kund:innen können ihre weiteren Anlagen wie z. B. Bitcoin automatisch in ihr Profil mit aufnehmen und Selma berücksichtigt diese in ihrem Anlageplan. Selma stellt damit sicher, dass das Gesamtrisiko über das Gesamtvermögen des Kunden zu ihnen passt.
Was für Investments schlägt Selma vor?
Wir nutzen für unsere langfristigen Anlagen und den Pensionsparplan ausschließlich kostengünstige ETF-Produkte. Um Risiken so breit wie möglich zu streuen, stellen wir für jeden Kunden ein globales Investmentportfolio zusammen und passen es an seine Finanzsituation an. Dabei screenen wir Produkte automatisch nach Kosten, Qualität oder steuerlichen Kriterien. Wir zielen darauf ab, immer die Kosten-effizientesten Produkte auszuwählen und eine möglichst breite Streuung zu erzielen. Je nach Anlagesumme passt Selma das Portfolio individuell an und wählt unterschiedliche Produkte aus. Selma sieht sich auch an, wie sich die Zusammensetzung des Portfolios verändern wird, wenn man das Investment erhöht oder wenn sich im Finanzleben etwas verändert und jemand zum Beispiel ein Haus kauft.
Was macht man da als Anleger noch selbst?
Kund:innen können Themen Schwerpunkte bei ihren Anlagen berücksichtigen und zum Beispiel nachhaltiges Anlegen auswählen. Das wird in den Investmentpräferenzen hinterlegt und so werden zum Beispiel ausschließlich Anlageprodukte verwendet, die ESG-zertifiziert sind.
Was passiert, wenn die Märkte plötzlich in Bewegung sind? Kann der Algorithmus schnell auf Kursveränderungen reagieren?
Mit Selma fokussieren wir uns auf langfristiges Anlegen. Anstatt Anlagen anzupassen, wenn Kurse bereits reagiert haben, misst Selma automatisch langfristige Über- und Unterbewertungen von Märkten und investiert automatisch weniger in Märkte, die teuer sind, um so Risiken frühzeitig zu reduzieren. Dabei stützen wir uns immer auf Fundamentaldaten.
Was sind die Vorteile eines digitalen Assistenten gegenüber klassischen Finanzberatern?
Wir bieten mit Selma erstmalig personalisierte Anlageberatung und individuelles Investment-Management bereits ab 2000 Franken. Mit Selma machen wir Privatebanking-Dienstleistungen, welche sonst nur ab mehreren Hunderttausend Franken zugänglich sind, für alle verfügbar.
Diese kleinen Anlagen sind möglich, weil das Ganze automatisch funktioniert?
Genau, gerade persönliche Beratung rentiert sich meist erst ab größeren Volumen – sonst ist sie zu teuer. Deswegen ist persönliche Beratung zum Beispiel in der Schweiz erst ab 500.000 Franken zugänglich. Mithilfe von Automatisierung bieten wir die gleiche Service-Leistung jetzt ab 2.000 Franken. Das heißt, wir demokratisieren den privaten Banker und das funktioniert natürlich nur mithilfe von Technologie.
Selma ist seit Anfang 2019 komplett auf dem Markt. Wie hoch ist die Nachfrage nach solcher Finanzberatung?
Gerade durch die Corona-Krise sehen wir ein starkes Wachstum und haben in den zwei Quartalen bereits mehr als 1.000 Konten eröffnet. Auch bei unseren bestehenden Kunden haben wir Rekordzuflüsse gesehen während es kaum Mittelabflüsse gab. Wir sehen uns bestätigt, dass wir mit unserer aktiven Kommunikation und dadurch dass wir ihre Profile individuell auf sie zugeschnitten hatten sie auch in Krisenzeiten optimal betreuen konnten.
Grund für das Wachstum sehen wir vor allem darin, dass das Thema Geldanlagen vielleicht noch mehr im Fokus gestiegen ist. Dadurch, dass die Finanzmärkte viel in den Medien waren, hatten Leute auch vermehrt das Gefühl, dass jetzt der Moment zum Einsteigen ist. Zusätzlich waren durch die Coronakrise gerade die klassischen Banken und Finanzdienstleister außer Reichweite. Plötzlich wurde der Mehrwert von Online-Services komplett neu wahrgenommen.
Wird die automatisierte Finanzberatung also langfristig weiter wachsen und sich in die Richtung von Großinvestments und einer breiteren Masse von Finanzberatung ausbreiten?
Digitale Finanzdienstleistungen werden durch alle Kundensegmente hindurch weiter an Bedeutung gewinnen und so wachsen. Gerade der Komfort, alles ganz einfach von zu Hause aus zu erledigen, jederzeit Zugriff zu haben und seinen “Private Banker” einfach am Smartphone zu haben schafft komplett neue Vorteile. Dies gilt auch für ältere Generationen, die sich vielmehr mit digitalen Services auseinandersetzen. Wir sehen das in vielen anderen Bereichen und es schwappt zu Finanzdienstleistungen über.
Also ist dieser persönliche Kontakt da gar nicht mehr so wichtig?
Persönlicher Kontakt in dem Sinne, dass man sich physisch treffen muss, nicht mehr. Die Leute sehen, wie viel Mehrwert der digitale Weg hat. Wir haben zum Beispiel einen Live-Chat direkt in der Plattform reagiert. Der kann viel schneller reagieren als klassische Banker in der Bankfiliale. Solche Leistungen können dann zusätzlich noch mal Mehrwert und Vertrauen schaffen.