Seit 2005 ist Frank Schäffler Bundestagsabgeordneter der FDP und Mitglied des Finanzausschusses. In einem exklusiven Interview mit Kryptoszene.de spricht er über die massiven gesetzlichen Lücken im digitalen Finanzsektor und verrät, warum die Ansichten des Ökonoms von Hayek nicht nur viel mit Bitcoins gemeinsam haben, sondern auch unsere Probleme lösen könnten.

Hallo Herr Schäffler, könnten Sie kurz ein bisschen erzählen, wie Sie mit der Blockchain und Kryptowährungen in Berührung gekommen sind.

Ich hab mich schon 2008/2009 mit der Frage von Geldwettbewerb im hayekschen Sinne beschäftigt und dazu verschiedentlich publiziert. Darüber habe ich damals in der F.A.Z. mit drei Kollegen einen großen Artikel geschrieben. Die alte Idee von Hayek aus der Mottenkiste holen? Das war ein Tabubruch und völlig unverständlich für viele. Natürlich ist es heute noch nicht Mainstream geworden,  aber es wird zumindest ernsthaft diskutiert. Seit 2012/2013 stellte ich die ersten Anfragen zu diesem Thema, also Blockchain und Kryptowährungen, im Bundestag. Da ging es im Wesentlichen um steuerliche Fragen rund um das Bitcoin traden, gleichwohl aber auch um umsatz- und einkommenssteuerliche Fragen.

Sie erwähnen, dass sie die Ansichten von Friedrich August von Hayek teilen. Inwiefern bringen Sie die österreichischen Schule der Nationalökonomie mit Bitcoins und anderen Kryptowährungen in Verbindung?

Hayek hat 1976 ein Buch geschrieben mit dem Titel „Die Entnationalisierung des Geldes“. Er befürwortete, das Geldwesen dem freien Wettbewerb auszusetzen, um damit künftige Finanzkrisen zu vermeiden. Mit dem Aufkommen von Bitcoin und anderen Kryptowährungen ist dieser private Geldwettbewerb zum ersten Mal in den Gang gekommen. Davon verspreche ich mir sehr viel. Dadurch, dass es private, bessere Alternativen gibt, kommt das staatliche Geldwesen unter Druck und muss aus seinem vermeintlich schlechten Geld, gutes Geld machen. Denn am Ende wollen wir nur gutes Geld halten. 

Am besten erklären Sie, was Sie mit gutem und schlechten Geld meinen.

Schlechtes Geld ist welches, das in seinem Wert schlechter wird und sich nicht mehr großer Akzeptanz erfreut. In der Regel ist es staatliches Geld, das man nicht ohne Weiteres eintauschen kann –  zumindest nicht überall auf dieser Welt. Wir unterliegen also quasi einem Annahmezwang und somit ist das Geld ursächlich dafür verantwortlich, dass wir eine weltweite Überschuldungssituation von Staaten und Banken haben. Warum? Dieses Geld hat ja keinen Anker mehr, sondern es beruht nur auf Vertrauen.

Und wer steuert dieses schlechte Geld?

Die Notenbanken. Und zwar unmittelbar über ihre Geldpolitik, die immer unkonventioneller wird. Das liegt daran, dass die Notenbanken mehr Geld in Umlauf bringen und darüber – mit unkonventionellen Maßnahmen – Konjunkturpolitik betreiben. In dieser suboptimalen Situation stecken wir, worin die Alternativen dann eine Chance zu etwas Besserem bedeuten könnten. Ob das am Ende die ein oder andere Kryptowährung sein wird, weiß ich nicht. Das wird der Markt am Ende herausfinden.

Meinen Sie mit unkonventionellen Maßnahmen, dass beispielsweise einfach mehr Geld gedruckt wird? 

Ja. Momentan ist die Situation bei den großen Notenbanken der Ankauf von Schulden, sprich: Staats- oder Unternehmensanleihen. Damit werden die Zinsen am langen Ende gedrückt, um die Refinanzierung von Staaten und Unternehmen zu verbessern. Einzig so, können sie überleben – im wahrsten Sinne des Wortes. 

Wären Kryptowährungen nun unsere Chance die Macht von Zentralbanken wegzubewegen und unser Geld in gutes zu verwandeln?

Genau. Wenn es einen Wettbewerb gibt, haben alle Bürger*innen die Möglichkeit zu jedem Zeitpunkt schlechtes in gutes Geld einzutauschen. Solange dieser Wettbewerb wiederum nicht durch den Staat diskriminiert wird. Am Ende würde niemand schlechtes Geld halten, sondern versuchen es schnellstmöglich loszuwerden. Jede Institution, wie beispielsweise die Notenbanken, die schlechtes Geld produziert, kann nicht ohne Weiteres auf Akzeptanz hoffen. Die entsteht nämlich nicht dadurch, dass nur noch billiges Geld produziert wird, sondern vielmehr darin es solider zu halten.

Ein Vorschlag wäre eine andere Art der Fiskalpolitik einzuführen, unter der Staaten eben die Verschuldung nicht kontinuierlich fortsetzen können, sondern eben solider wirtschaften und somit auch staatliches Geld zu gutem Geld wird.

Versammeln Sie mit ihren politischen Ansichten viele Anhänger*innen innerhalb der Partei oder teilen sich da die Meinungen?

Die FDP steht für ökonomische Vernunft, Haushaltsdisziplin und für eine solidere Geldpolitik. Außerdem befürworten wir auch eine Abkehr von der Nullzins- oder Negativzins-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB). Da sind wir uns schon sehr einig in der Partei. Dafür ist das Thema Geldwettbewerb natürlich ein neueres. Man könnte sagen: ein neuerer Partei-Liberalismus in Deutschland. Dafür gibt es außerhalb der Parteien eine große Community, die inzwischen diese Ideen diskutiert und auch immer mehr Anhänger*innen dafür findet.

Bekommen Sie den Eindruck, dass in anderen Fraktionen digitale Assets und Blockchain auch eine Rolle spielen oder ist das eher FDP-spezifisch?

Doch klar. Besonders wie man mit der Blockchain-Technologie Geschäftsmodelle und Dienstleistungen anders abwickeln könnte. Sie gewinnt natürlich, unabhängig von der Frage der Währungsordnung, an zunehmender Bedeutung im Bundestag. Dort gibt es verschiedene Kollegen wie Herrn Heilmann von der CDU oder Herrn Bayaz von den Grünen beispielsweise. Wir denken prinzipiell in die gleiche Richtung und leisten damit natürlich auch unseren Anteil, um die Region ein Stück weit flotter voranzubringen.

Sie haben gerade Herrn Heilmann (CDU) und Herrn Bayaz (Die Grünen/Bündnis90) erwähnt. Arbeiten Sie parteiübergreifend in diesem Themenbereich auch gemeinsam Anhörungen für den Ausschuss aus?  

Natürlich sind wir in unterschiedlichen Fraktionen, aber wir schätzen uns gegenseitig. Der Kollege Bayaz sitzt mit mir im Finanzausschuss und da haben wir durchaus eine ähnliche Argumentation zu diesen Themen. Wenn wir gemeinsame Anhörungen machen, unterstützen wir uns gegenseitig. So gut es eben geht. Wir hatten zum Beispiel vor einem halben Jahr eine Anhörung, für die wir die Vertreter von Libra und Facebook in einer gemeinsamen Sitzung vom Digitalausschuss und Finanzausschuss, einluden. 

Ist Deutschland überhaupt ein vorteilhafter Standort für die Szene?

Deutschland ist durchaus ein guter Standort. Wenn man nach Berlin schaut beispielsweise. Dort haben wir viele Start-ups von Fintechs, die diesen Bereich voranbringen. Trotzdem sind die rechtlichen Rahmenbedingungen nach wie vor äußerst mangelhaft. Die Regierung bringt das nicht richtig voran, sondern alles dauert ewig. In Deutschland ist der Fortschritt eine Schnecke.  So wurde die Blockchain Strategie im letzten Spätsommer vorgestellt, nachdem wir die Anhörung beantragt hatten. Dafür hat die Regierung damals schnell ein paar Seiten formuliert und zum Thema Geldwäsche etwas gemacht. Das war’s dann aber auch. Gesetzgeberisch ist bis auf das Geldwäschegesetz noch nichts passiert.

In welchen Bereichen fehlen Ihnen eindeutig noch relevante gesetzliche Verabschiedungen?

In der Anhörung ging es zwar um die Verwahrung von Kryptowährungen, allerdings wurden Fragen rund um die Urkundenerfordernis, der Datenschutz-Grundverordnung oder des Rechts auf Vergessen nicht geklärt. Das ist natürlich in einer Weise sehr tragisch, denn die Welt bleibt nicht stehen. Um uns herum sind die flotten, kleinen Schnellboote wie Liechtenstein, Malta oder Luxemburg. Und wir als träger deutscher Tanker brauchen ewig.

Lassen Sie uns nochmal über die Schnecken-Metapher reden. Was kritisieren Sie genau an der deutschen Regierung?

Die Regierung muss all das gesetzgeberisch voranbringen. Selbst die Finanzaufsicht BaFin hat sich lange Zeit nicht ausreichend damit beschäftigt. Mittlerweile sind die Kompetenzen bei der BaFin sukzessive aufgebaut, damals fehlten diese Fachkräfte wahrscheinlich. Auch im Finanzministeriums kümmerte man sich lang nicht um diese Themen. Auch da fehlte sicherlich die Fachkompetenz. Daher wurde einfach weiter gemacht wie bisher. Meiner Meinung nach ist auch die momentane Regierung die falsche, was solche Innovationen betrifft. Für sie zählt eher Tradition bewahren, als der Fortschritt.  Aber ich sag’s mal so: ich habe sie nicht gewählt.

Mir fällt häufig auf, dass ich in Deutschland vieles nicht bargeldlos bezahlen kann, selbst in größeren Einkaufshäusern. Denken Sie, dass der gesellschaftliche Rückhalt Deutschlands hypothetisch gegeben wäre, eine Kryptowährung anzunehmen? Vielleicht sind wir dafür gar nicht bereit?

Damit sie mich nicht falsch verstehen: Ich bin ein großer Anhänger von Bargeld. Kryptowährungen wären also nicht die Alternative zu Bargeld, sondern die Alternative zu staatlichem Geld. Anders gesagt, halte ich von Bargeld sehr sehr viel, weil es Anonymität für viele Zahlungsvorgänge gewährleistet und auch die Enteignung von Vermögen verhindert. Solche Geschichten wie der Negativzins der EZB  lassen sich nur durchsetzen, wenn es kein Bargeld mehr gäbe. Dann wären unsere Gelder auf den Konten gefangen und wir alle, sozusagen, im Gefängnis. Das halte ich für ein falsches Vorgehen. Vielmehr brauchen wir Alternativen zu staatlichem Geld und diese Alternativen müssen sich im Markt durchsetzen.

Wäre Bitcoin dann die erste und einzige Alternative zu staatlichem Geld ?

Es gibt verschiedenste Versuche. Bitcoin war sicherlich der erste. Demnächst werden wir wahrscheinlich noch viele andere Dinge erleben wie Libra zum Beispiel. Vielleicht auch andere Konzepte, die nicht in der Menge begrenzt sind, sondern am Währungskorb oder einer bestimmten Währung hängen, die den Zahlungsverkehr grenzüberschreitend vereinfachen. Der aktuelle Zahlungsverkehr ist eine sehr teure und langwierige Angelegenheit. Dabei gibt’s definitiv Innovations- und Verbesserungsbedarf. Ich glaube auch genau dort spielt zukünftig die Musik, Arbeitsplätze werden geschaffen, Fortschritt und Wohlstand entsteht und Menschen profitieren. Das wird für uns alle von großem Nutzen sein. Wir müssen nur offen bleiben. Am Ende muss sich eh alles im Markt  durchsetzen.

Auf ihrer Webseite sprechen Sie über das Pilotprojekt Libra und schreiben es sei „eine einfache globale Währung und eine finanzielle Infrastruktur für Milliarden von Menschen“. Wenn jetzt die Libra Association ein Viertel der Menschheit mit einer Währung versorgt, könnte das nicht durchaus langfristig mehr schaden als nützen?

Das weiß man nicht. Sie suchen jetzt zusätzliche Partner, mit denen die sie das Projekt machen können, weil einige abgesprungen sind. Vielleicht kommen Neue dazu? Das ist schwer zu sagen. Glaube für die Association wäre es wichtig, zu formulieren, wie genau sie die Währung tatsächlich umsetzen wollen. Ursprünglich war ein Stable Coin geplant, der eine globale Reservewährung in einem bestimmten Verhältnis abbilden sollte. Jetzt schlug Facebook vor, dass man sie doch nur an eine Währung koppelt also den US-Dollar oder den Euro. Das würde bedeuten es gäbe mehrere Libras. 

Sie klingen nicht sehr überzeugt von dem Konzept aus dem Hause Facebook.

Ich bin auch nicht sehr begeistert davon. Allerdings muss trotzdem die Möglichkeit gegeben sein, dass solche Innovationen existieren. Wir leben schließlich nicht auf einer Insel. Es gibt immer noch zahlreiche Regionen auf dieser Welt, wo Millionen oder Milliarden von Menschen vom Zahlungsverkehr klassischerweise abgeschnitten sind, weil sie kein Bankkonto besitzen. Dort gibt es einen Bedarf für Innovationen wie Libra, und wenn es einen Bedarf gibt, dann wird der Markt diesen Bedarf in der Regel befriedigen. Sei es entweder Libra, eine chinesische oder europäische Variante. All das ist Teil des Wettbewerbs. Ich glaube nicht an diese Verschwörungstheorien, dass Facebook die Marktmacht missbraucht und daraus eine globales, privates Monopol entsteht. Ich halte das für sehr unwahrscheinlich.

Der Skandal um Cambridge Analytica, in dem die Privatsphäre von Nutzer*innen nicht berücksichtigt wurde, spielt sicherlich bei der Entstehung dieser Verschwörungstheorien mit ein. Und ist wahrscheinlich auch nicht ganz unbegründet.

Überlegen Sie mal, wenn Facebook daraus nicht lernt und sich verändert, werden die Menschen es nicht weiter nutzen. Dann wird es andere Anbieter geben, die besser sind. Mein Sohn ist 15 Jahre und neulich war ich auf einer Veranstaltung an der 50 Jugendliche teilnahmen. Eine Referentin fragte vorher die Runde, wie viel von ihnen eigentlich Facebook nutzten. Es meldete sich einer. Natürlich kann man jetzt sagen, Instagram, Whatsapp usw. gehören auch alle zu Facebook, vielmehr zeigt das aber einfach, wie die Märkte sich verändern.

Das Produkt, was heute hip ist und genutzt wird, heißt noch lange nicht, dass es auch morgen noch Kund*innen findet. Somit muss sich Facebook auf dem Markt stellen, überzeugend sein, und nur wenn es eine breite Akzeptanz findet bei den Nachfragen, wird es auch überleben. Historisch gibt es genügend Beispiele, bei denen Unternehmen marktbeherrschend waren und Jahrzehnte später gab’s sie nicht mehr.

Und was halten Sie denn zum Beispiel von einem E-Euro, herausgegeben der von der Zentralbank?

So wie sich die Notenbanken das vorstellen, wird es aus meiner Sicht nicht funktionieren. Alleine zwischen dem Notenbankgeld als Bargeld und dem E-Euro zu unterscheiden, wird schon schwierig sein. Wenn Sie heute Geld auf ihrem Konto haben,  ist das kein Zentralbankgeld. Es ist das Geld, das durch den Kredit von Banken geschaffen wurde. Somit ist das eigentliche Geld nur das Bargeld, der Euro-Schein.

Hätten Sie statt einem E-Euro dann vielleicht einen anderen, besseren Vorschlag in Petto?

Ich denke, wir können das Ganze im hayekschen Sinne ein Stück weit weiterdenken. Mal angenommen Banken vergeben einen Kredit  und schaffen neues Geld, dann könnten wir über die Blockchain dauerhaft nachweisen, wer dieses Geld ursprünglich geschaffen hat. Ein Beispiel:  Wenn die Commerzbank einen Kredit vergibt und damit neues Geld schafft, dann wäre das der Commerzbank-Euro. Wenn die Deutsche Bank das macht, wäre es der Deutsche Bank-Euro.

Nehmen wir an die Commerzbank ginge Pleite, könnten wir in einer Blockchain-Welt, Euro X und Euro Y der jeweiligen Bank zuordnen. So sind wir befähigt zu sagen: der Teil der Commerzbank wird wertberichtigt auf dem Depot und wären damit nicht mehr hundert Prozent, sondern vielleicht nur drei oder vier Prozent in dem Geldkreislauf. Indem die Blockchain den ursprünglichen Emittent des Euros nachweisen könnte, wäre es insgesamt ein viel stabileres Geldsystem inmitten einer wettbewerblichen Weltordnung. Natürlich ist das gerade ein bisschen utopisch gedacht, aber in einer Blockchain-Welt wäre sowas möglich.

Was sind denn Ihre Prognosen für die nächsten drei bis fünf Jahre? Was erwarten Sie in Hinblick aktueller Entwicklungen von der Industrie? 

Wir werden eine Disruption von bislang, als staatlich definierten Aufgaben, erleben. Für all die Dinge der Dokumentation, wofür wir heute den Staat oder eine von ihm beauftragte Stelle brauchen, werden sukzessive abgelöst durch Blockchain oder andere Dinge. Somit wird der Staat in diesem Feld eine geringere Rolle spielen und die Prozesse werden deutlich preiswerter. Wir erfahren jetzt die Anfänge einer potentiellen Internet-Revolution 2.0. Also: Je eher wir uns darauf einstellen, umso besser! 

Vielen Dank für das Gespräch

Kryptowährungen sind ein sehr volatiles, unreguliertes Investmentprodukt. Ihr Kapital ist im Risiko.

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Dana Hajek

Ich bin freie Journalistin, lebe in London und studiere im Erasmus Mundus Master International Journalism, Media and Globalisation. Brennend interessiere ich mich für Zukunftstechnologien, Digitalisierung und (digitale) Trends.

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