Ein neuer Einsatzbereich von Kryptowährungen ist im Entstehen begriffen: Opfer sexueller Belästigung oder Missbrauchs können nun vollkommen unabhängig finanzielle Unterstützung suchen und schützen dabei gleichzeitig ihre Privatsphäre. Daher werden in diesem Artikel keinerlei Namen erwähnt, um alle betroffenen Indidivuuen zu schützen.
Ein Beispiel dafür war, dass eine Überlebende von sexuellem Missbrauch, durch das Krypto-Bezahlsystem Seeds im September insgesamt 500 US-Dollar durch Crowdfunding gesammelt, nachdem sie durch die Belastung des erlittenen Traumas mehrere Monate lang nicht arbeiten konnte.
Hätte sie eine traditionelle Crowdfunding-Site wie Kickstarter oder GoFundMe genutzt, hätte sie einen amtlichen Lichtbildausweis sowie ein Bankkonto angeben müssen. So geht die Anonymität verloren und Mitarbeiter der Plattform könnten sie möglicherweise mit ihrer Geschichte in Verbindung bringen.
Stattdessen ermöglichte die Verwendung des ERC-20-Tokens Seed einer Person, ohne jeglicher Kenntnisse über Kryptowährungen, Geld zu sammeln, ohne jemandem die wahre Identität mitzuteilen außer dem CEO der Plattform, Rachel Cook.
Das Opfer erhielt ein Token – das weniger als ein Viertel Dollar kostete – als Geschenk von Cook, um auf 30 verschiedenen Apps, die die kostenlosen Front-End-Tools von Seeds verwenden wie zum Beispiel die Meditations-App Aura, eine „Bitte um Hilfe“ zu stellen. Die Nutzer konnten dann über die In-App-Funktion mit ihren Kreditkarten spenden.
Normalerweise wird das Geld zwischen App-Entwicklern und dem Endempfänger, der die Anfrage bzw. das Hilfeersuchen eingereicht hat, aufgeteilt. Seeds verlangt nur eine 10%ige Gebühr für den Service, die davor abgezogen wird. In diesem speziellen Fall verzichtete Cook jedoch auf alle Gebühren, als die Kampagne beendet war. Cook sagte, es dauerte nur drei Wochen, um die Spenden zu sammeln. Dieser Fall stelle die schnellste Erfüllung einer Kampagne seit der Einführung des Tokens im Oktober 2017 dar.
„Ich habe diese Frau zufällig persönlich getroffen, und wir haben angefangen, uns über die #MeToo-Bewegung zu unterhalten“, sagte Cook und fügte hinzu, dass Menschen, die speziell unter sexueller Belästigung oder Angriffen am Arbeitsplatz leiden, oft Angst haben, sich darüber zu äußern oder zu kündigen, weil sie es sich nicht leisten können den Job verlieren.
„Sexualmissbrauchsopfer haben Schwierigkeiten, sich zu überwinden und um Geld zu bitten“, sagte Cook. „Die nächste logische Schlussfolgerung, die ich in der #metoo-Bewegung sah, war, dass wir darüber reden müssen, wie das Krypto-System diesen Menschen helfen kann.“
Cook, selbst ehemaliges Opfer von sexuellen Übergriffen, sagte, sie beabsichtige, anonymen Anfragen für Krypto-Neulinge zugänglicher zu machen, die Hilfe bei den Kosten für rechtlichen Beistand sowie Psychotherapien benötigen.
Sie sagte CoinDesk:
„Wir müssen die Leute wissen lassen, dass dies für jeden verfügbar ist und sie es nutzen können, ohne sich dabei unwohl zu fühlen. Wir wollen diese Lücke füllen.“
Anonymität und Sicherheit garantiert
Diese Crowdfunding-Geschichte ist nur ein Beispiel dafür, wie Frauen sich in der Krypto-Community einander helfen, und dabei neue Methoden zur Überwindung des persönlichen Traumas erlernen.
In einem berühmten Fall in Afghanistan arbeitete ein Missbrauchsopfer vor Jahren mit der Bitcoin-Befürworterin, Roya Mahboob, zusammen. Mahboob stelle ihr Tools zur Verfügung, mit denen sie Bitcoin verdienen konnte, wodurch sie sich später ihre Scheidung finanziert hat.
Vor kurzem berichtete CoinDesk über ein US-amerikanisches Webcam-Model, das verschiedene Kryptowährungen kauft und spart, um damit einer „unglücklichen“ Lebenssituation zu entkommen, die ihre psychische Gesundheit beeinträchtigt. Da sie allein die privaten Schlüssel ihrer Wallets kontrolliert, muss sie sich nicht um Bankauszüge oder Kontogebühren kümmern und kann komplett anonym bleiben.
„Kryptowährungen haben mir definitiv Werkzeuge zur Verfügung gestellt, um Hindernisse zu überwinden“, sagte die erotische Darstellerin gegenüber CoinDesk. „Ich möchte, dass sich Frauen durch Kryptos ermächtigt fühlen, sich selber zu helfen, zudem sind sie leicht zugänglich.“
Eine Blockchain-Entwicklerin, und gleichzeitig ehemaliges Opfer von häuslicher Gewalt, arbeitet zurzeit an einer Reihe von dezentralen Geldverwaltungssystemen in Form von dApps, die speziell diese Art von Benutzer ansprechen sollen.
„Finanziell unabhängig zu sein, war der wesentliche Grund, weshalb ich meinen gewalttätigen Ehemann verlassen konnte“, sagte die App-Entwicklerin (wie auch das Webcam-Model sprach sie mit CoinDesk nur, wenn sie anonym bleiben konnte, Anm. d. Red.). „Den Opfern fehlt es, wie auch anderen benachteiligten Menschen, an Tools, die ihren Wohlstand fördern.“
In Bezug darauf, dass die überwiegende Mehrheit der Gewalt in der Partnerschaft irgendeine Form von finanziellem Missbrauch mit sich bringt, wobei der Täter den Zugang des Opfers zu wirtschaftlichen Ressourcen kontrolliert, fügte die Entwicklerin hinzu:
„Der Hauptgrund, warum Frauen in missbräuchlichen Beziehungen bleiben, liegt darin, dass sie von ihren Partnern abhängig sind.“
Lernkurven werden überwunden
Im Gegensatz zur App-Entwicklerin und dem Webcam-Model, die beide mit Bitcoin arbeiten, hat das erste Opfer ihre via Crowdfunding gesammelten Seed-Tokens auf der Seed-Webseite gegen US-Dollar getauscht. Obwohl sie das Geld mit PayPal erhielt (wo all ihre persönlichen Informationen wie Name, Adresse, etc. gespeichert sind), gab es keine öffentlichen Infos, die sie mit der Seeds-Kampagne in Verbindung brachten.
Laut Seeds´ CEO Cook könnte in Zukunft jedes Missbrauchsopfer, das bei der Auszahlung keine persönliche Daten preisgeben möchte, Cook persönlich nach alternativen Auszahlungsmöglichkeiten fragen.
Außerdem kann man Seeds-Token bei den dezentralen Kryptobörsen AirSwap und 0x ohne amtlichen Lichtbildausweis erwerben. Dank der Transparenz von Blockchain-Transaktionen können Opfer – die sich nicht so gut auskennen – ihre etwas erfahrenen Freunde oder Kollegen darum bitten für sie die Tokens zu erwerben, ohne angeben zu müssen, wofür sie sie benötigen. Cook meinte dazu:
„Wir erreichen viele Menschen, die sich selbst als nicht krypto-affin bezeichnen.“
Seeds hat ungefähr ein Dutzend Hilfeersuchen verarbeitet, von 100 bis zu 1.200 US-Dollar pro Person. Bisher gab es nur einen Fall, der mit Trauma verbunden war.
So verbreitet Cook die Nachricht an Missbrauchs- und Sexualopfer, die offen für Kryptowährungen sind, jedoch nervös mit dessen Umgang und der Volatilität sind da sie keinerlei Erfahrungen damit haben. Für diese Zielgruppe stellt dieses Token eine schnellere und vor allem anonyme Alternative zum klassischen Crowdfunding dar.
„Mit Krypto können wir Systeme schaffen, die über kaputte, zentralisierte Machtstrukturen hinausgehen“, sagte Cook. „Und davon brauchen wir mehr.“
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