Im Juni 2007 machte die Gruppe „Ztohoven“ zum ersten Mal auf sich aufmerksam, als sie den Sendemast des tschechischen staatlichen Fernsehsenders erklomm. Dann hackten sie sich in die laufende Sendung und ersetzten den Wetterbericht mit dem Videomaterial einer explodierenden nuklearen Bombe.
Diese Aktion sollte der Auftakt zu einer Reihe von Initiativen und Stunts der krypto-anarchischen Gruppe „Ztohoven“ sein. Ihr Hauptquartier haben sie in einem ehemaligen Fabrikgebäude inmitten von Prag aufgebaut und nannten es „Paralelní Polis“, zu Deutsch: Parallelwelt. Der Name bezieht sich auf einen Ausdruck von Václav Benda, einem tschechischen Philosophen und Dissidenten, der damit Untergrund-Gegenkulturen bezeichnet, die das kommunistische Regime unterwanderten.
Krypto-Events im historischen Prag
Heute entsteht hier vor allem eine digitale, dezentrale Gegenkultur, die ohne Staat, Gesetze und Zentralbanken auskommen will. Alles wird über Kryptografie, über technologische Verschlüsselung, geregelt. Und wenig überraschend spielen auch die verschiedensten Kryptowährungen hier eine wichtige Rolle. Ob es nun neueste Coins sind oder die altbekannten Größen wie Bitcoin oder Ethereum – Kryptowährungen sind für die Gruppe ein wichtiges Mittel zur Durchsetzung von Privatsphäre, Freiheit und Selbstbestimmung.
Zur Gruppe Ztohoven gehören Aktivisten für digitales Recht, Cypherpunks und Krypto-Enthusiasten. Manche von ihnen kommen nur gelegentlich, andere sind Dauergäste. Zu ihnen gehört der Mitgründer von Ethereum, Vitalik Buterin. Die Mitglieder belassen es nicht beim Philosophieren und Programmieren, auch der Aktivismus gedeiht im Paralelní Polis.
1/ Bloomberg just published an article on what our family is trying to do with NFTs! https://t.co/9AQT9W6ZiN Here are a few things the article didn’t mention:
— William R. Lobkowicz (@WRLobkowicz) September 29, 2021
Nicht nur in dem ehemaligen Fabrikgebäude treffen sich Krypto-Fans und Cypherpunks. In dem nahen Viertel Hradčany veranstalten die adligen Geschwister William und Ileana Lobkowicz Krypto-Events. Beide nutzen etwa NTFs, um die Restauration von historischen Gebäuden zu finanzieren. Dieses Jahr jedoch hielten sie Workshops mit anschließenden Gesprächen ab. Die Themen reichten von der neuesten MiCA-Verordnung der EU bis hin zu Crypto AI und Blockchain-Technologien.
Die digitale Anarchie von Ztohoven
Es überrascht nicht, dass die Tschechische Republik eine solche Bewegung hervorbringen sollte. Schließlich waren die Tschechen im Laufe ihrer Geschichte selten ein selbstbestimmtes Volk. Im 20. Jahrhundert litten sie zunächst unter den Nationalsozialisten, dann unter sowjetischer Besatzung. Dadurch entwickelt sich von allein eine Skepsis gegen Autoritäten. Bis heute lehnen sie den Euro ab, obwohl Tschechien seit 2004 Teil der EU ist.
Von hier aus breitet sich das Konzept der Paralelní Poli weiter aus. Mittlerweile gibt es Ableger in Wien, Barcelona und in den zwei slowakischen Städten Bratislava und Košice. Hier finden Hackatons und Meetups zu Blockchain-Themen ab, können sich Programmierer und Veranstalter für gemeinsame Projekte treffen oder 3D-Drucker ausprobieren.
Allen Ablegern ist das „Institut für Krypto-Anarchie“ gemein. In Vorlesungen und Vorträgen lernen Interessierte hier mehr zu den Themen freies Internet, Anonymisierung, Verschlüsselung und neue Kryptowährungen. Diesmal geht es nicht darum, die Interessierten im Kampf gegen und in der Unterwanderung von faschistischen und kommunistischen Regimen zu schulen. Stattdessen ist der Feind die Art und Weise, wie moderne Staaten Informationen zu kontrollieren versuchen.
Neue Technologien treffen auf die Österreichische Schule
Prag wurde aus einem weiteren Grund zum Zentrum der Krypto-Anarchie: die Nähe zur Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Diese im 19. Jahrhundert in Wien entstandene Wirtschaftslehre, begründet durch Carl Menger und Friedrich Hayek, stellt das Individuum und seine Interessen in den Mittelpunkt wirtschaftlichen Handelns. Gleichzeitig kritisiert sie scharf zentral gelenkte Wirtschaften und staatliche Interventionen.
Es sollte daher nicht verwundern, dass viele Bitcoiner und Mitglieder von Ztohoven auch Anhänger der „Österreichischen Schule“ sind. So ist ein Zentralanliegen beider Bewegungen die Trennung von Staat und Geld. Und beide glauben nicht daran, dass die US-amerikanische Federal Reserve den US-Dollar retten kann. Stattdessen arbeiten sie an einer Parallel-Wirtschaft mit Kryptowährungen als Basis. Der US-Dollar als Weltwährungs-Hegemon ist natürlich einer der Hauptfeindbilder. Die Weltreservewährung hat vor allem in den letzten Jahren dank Inflation massiv an Wert verloren – und reißt damit die Währungen kleinerer Länder mit sich hinab.
Tschechien und Prag insbesondere bleiben auch weiterhin ein Anlaufpunkt für Bitcoiner und Krypto-Unternehmen. Hier entstand die erste Hardware-Wallet (Trezor) und der erste Mining-Pool der Welt. Bei Alza, einem der größten Einzelhandelsketten des Landes, lässt sich mit Bitcoin bezahlen. Das Land brachte weiterhin General Bytes hervor, einen der größten Lieferanten für Bitcoin- und Krypto-Automaten sowie der dazugehörigen Software. Die Gruppe Ztohoven spielt bei solchen Gründungen indirekt oder direkt immer wieder eine Rolle.